Sauerfleisch

Kriminalroman

emons:

(c) Hermann-Josef Emons Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch
Druck und Bindung: cpi –Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany 2011
isbn 978-3-89705-
Originalausgabe

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Für Gesine

Prolog

 

Wie der hereinstürzende Berg donnert mir die Stimme entgegen, doch ich schwöre, daß sie meinen Widerstand nicht brechen wird. Die Wut macht mich standhaft und verschließt mir den Mund. Du wirst meine Lippen nicht lösen, meine Ehre machst du mir nicht streitig. Bis zum letzten Atemzug werde ich für sie kämpfen und mit reinem Herzen vor den Heiland treten, sollte es so weit kommen müssen. Denn ich weiß, es geht nicht nur um mein Leben, sondern um unser aller Leben. Das, was wir jetzt haben, ist schon lange keines mehr, das ist längst die Hölle.

»Ein rechtschaffener Bergmann will er sein?«, schreit mir der Richter höhnisch entgegen, und der Geifer aus seinem empörten Maul sprüht mir ins Gesicht. »Unserem allergütigsten Kurfürsten von Gottes Gnaden will er dienen? Und er wagt es, hier zu sitzen und zu schweigen und Vaterland und die Früchte unserer Hände Arbeit an einen Haufen toller Rebellen zu verraten?«

Seit mindestens einer Stunde versucht dieser Teufel in gepuderter Perücke mit seinen falschen Worten in mich einzudringen, unablässig bemüht, einen Keil zwischen mich und die Anführer der Knappschaft zu treiben.

Noch haben sie Langenberger und Müller nicht verhaftet. Wahrscheinlich haben sie zu wenig gegen die beiden in der Hand. Deshalb verhören sie zuerst alle anderen, die am 14. Juni dabei waren, um sie einzuschüchtern und zu bedrohen, in der Hoffnung, dass einer aufgibt und umfällt. Dann haben sie es mit den Anführern leichter.

Aber niemals werde ich einen der Unsrigen verraten, nie werden sie mehr aus mir herauspressen als die Worte, die ohnehin in der Petition der Bergbruderschaft stehen und um die allein es geht, das schwöre ich. Dafür sollen sie mich einsperren, wenn sie können, denn um Brot darf jeder flehen, das wird uns keiner verbieten.

»Es geht um unsere Familien, um unsere Kinder, Hochwohlgeboren! Wir können sie mit unserem schmalen Lohn nicht mehr ernähren.«

Ich werde dabei nicht laut, versuche arglos zu erscheinen, denn es hat keinen Sinn, den Richter herauszufordern. Er ist stärker als ich, viel stärker. Aber er muß doch einsehen, daß wir keine Rebellen sind, daß der Kampf um unsere Sache keine Rebellion ist, sondern das letzte Aufbäumen vor dem Verrecken. Unsere Lage kann niemand mehr ernsthaft leugnen. Dabei bleibe ich, auch wenn sie mich bis in die Nacht hinein traktieren.

»Werd er nicht unverschämt! Will er damit etwa sagen, daß unser allergnädigster Kurfürst und König Georg seine Kinder im Lande vergesse und gerade seine Untertanen im Harze, die er besonders liebt, schmählich im Stiche lasse?«

Es ist mir, als lache die Antwort auf diese Frage schallend von den Wänden der Amtsstube wider. Wie jeder weiß, sitzt der allergnädigste Kurfürst in London als König auf dem englischen Thron. Dem fällt nicht ein, an seine Kinder im Harze zu denken. Der wird sich erquicklichere Bilder machen als die, wie seine Untertanen in den Gruben, verschmiert und im Schweiße, nach dem Erze schießen, jeden Tag den schlimmen Wettern und Gefahren unter Tage begegnend. Wie die bleichen Knaben, bekleidet nur mit Leinenkitteln, in den Pochwerken vom frühen Morgen bis in den späten Tag das Silber vom tauben Steine scheiden und die Peitsche spüren, wenn sie lahm dabei werden. Wenn wir nach Hause kommen, gibt es kaum Brot, mit Glück ein Stück harten Käse. Am Ende holt uns alle die Bergsucht. –Und da hat jemand die Kühnheit zu sagen, daß das Herz des Tyrannen für seine Kinder in den Gruben schlage?

»Unser allergnädigster Vater im Himmel wird ihm flüstern, wie es seinem Volke im Harze geht und wird ihm raten.«

Ich kämpfe die Erregung nieder, denn die Wut in mir brennt lichterloh.

Der Richter schäumt. Doch was bleibt ihm außer Drohungen? Schließlich kann er nicht die halbe Arbeiterschaft ins Gefängnis werfen. Wer außer uns sollte denn das Silber für die Taler, die später in den königlichen Schatullen klimpern, aus der Teufe ans Tageslicht heben?

»Werft den frechen Kerl hinaus! Mit dem ist nichts anzufangen. Er wird schon sehen, was er davon hat!«

Sie drängen mich aus der stickigen Amtsstube, stoßen mich mit den Kolben ihrer Gewehre in die Rippen und behandeln mich wie einen hergelaufenen Dieb.

Auf der Straße im hellen Tageslicht bin ich wieder frei und atme auf. Nein, sie haben mich nicht besiegt, aber sie haben mich an der Arbeit gehindert und mir den Tageslohn genommen. Frau und Kinder werden heute hungern müssen.

Oh, Du gütiger Jesus, der Du für die Menschen gestorben bist, erbarme Dich unser!

 

j. l., zum Gedenken an Mittwoch, den Neunten Julius im Jahre des Herrn 1738

...

 

Fast ein Jahr war Kriminaloberkommissarin Sina Kramer nicht mehr oben gewesen. Beruflich hatte es sich nicht ergeben, und ansonsten gab es kaum etwas, das sie in den Oberharz zog. Wandern vielleicht, aber dazu hatte sie allein keine Lust. Und Torsten zu fragen, ob sie sich zusammen den Goetheweg vornehmen sollten, hatte kaum Aussicht auf Erfolg. Der musste erst von seinem pc losgeeist werden.

Sina fuhr in ihrem gelben Honda auf der B241 in Richtung Clausthal. Die Strecke war ihr immer wie ein Tunnel vorgekommen. Kurz hinter dem mittelalterlichen Bilderbuchstädtchen Goslar tauchte man ein und nach etwas mehr als zwanzig Kilometern schwarzgrüner Tannendüsternis am anderen Ende, meist im Nebel, wieder auf, vier bis fünf Grad kälter, graue Häuser, graue Menschen. Die Welt wurde enger, je tiefer man in den Oberharz vordrang.

Nicht weit hinter dem Campingplatz war die Stelle, wo das Wildschwein gelegen hatte, mitten auf der Fahrbahn, noch zuckend, ringsum alles mit Blut verschmiert. Jemand hatte es nachts im Schneegestöber auf die Hörner genommen und im Todeskampf liegen gelassen. Das war vor zwei oder drei Jahre gewesen, nach der Weihnachtsfeier. Sina war nichts anderes übrig geblieben, als den Förster anzurufen und hilflos abzuwarten, bis er kam, immer das zuckende Schwein vor Augen. So ein Bild hakt sich einem im Kopf fest, das vergisst man nicht.

Jetzt hatten sie endlich begonnen, an den Straßenrändern die Bäume zu roden, vermutlich auch wegen der Wildunfälle.

Sina drehte auf, der kleine Honda schraubte sich zügig die Serpentinen hoch.

Die in Clausthal hatten wieder mal Personalmangel. Rosenberg war krank, und einer von ihnen war auf Fortbildung, hatte Jens Niebuhr gesagterzählt. Sina und Jens waren schon Kollegen gewesen, als sie noch oben gearbeitet hatte.

»Sina, wir brauchen dich!«, hatte Niebuhr am Telefon gesagt, als er das erste Mal wegen der Vertretung angerufen hatte. Sie fand das übertrieben. Was konnte da oben schon groß passieren?

Aber nach gerade mal zwei Tagen hing Kriminalrat Keilberth persönlich an der Strippe und faselte etwas von einer Mordsache. Kaum zu glauben. Und der neue Fall ließ auf eine umfassende Ermittlung hoffen, der eigentliche Grund, weswegen Sina Kramer zur Kripo gegangen war.

Niebuhr stand schon am blauen Dienstwagen und machte Zeichen, als Sina in den Hof des Kommissariats einbog. Sie parkte ihren Honda und stieg bei ihrem Kollegen ein.

»Schön, dich zu sehen, Sina!«

»Hallo, Jens.«

Ein Händedruck, und alles war wie immer, obwohl sie sich ein ganzes Jahr nicht gesehen hatten. Beim ersten Blick kam ihr Niebuhr allerdings dünner vor, doch das konnte täuschen.

Er war aufgekratzt, mit sichtlich Spaß an der Sache. »Endlich mal was Neues: Crime and suspence im Oberharz. Die alte Lattinger wird nicht schlecht gestaunt haben, als ihr Mann ihr heute Morgen aus dem dritten Stock entgegenbaumelte.«

»Geht's auch der Reihe nach?«, bremste Sina. Er tat gerade so, als wüsste sie schon Bescheid. Sie wusste nur, dass es sich um Mord in einem bekannten Hotel handelte.

»Ist alles noch taufrisch und wartet auf uns. Wir sind gleich beim ›Oberharzer Hof‹, dann sehen wir ja, was los ist.«

Wenigstens eine brauchbare Info, dachte Sina. Das Hotel kannte sie dem Namen nach, war aber nie da gewesen. »Außerhalb in Richtung Buntenbock?«

»Genau.«

Sie schwiegen eine Weile.

Irgendwie war Niebuhr doch anders als früher. Er wirkte so easy.

»Wie geht's dir so?«, fragte Sina.

»Ganz gut, danke. Ich gehe jetzt andere Wege.«

Sie wusste sofort, was er meinte.

»Aha, klingt interessant.«

Fragt sich nur, welche, dachte sie, denn die Wege, die er mit seinen Flammen bisher beschritten hatte, hatten meistens in einer Sackgasse geendet.

Niebuhrs Beziehungen hatten im Schnitt nie länger als drei Monate gedauert. Danach hatte er wie ein Gespenst ausgesehen und Sina die Ohren vollgeheult. Dabei war nie richtig rausgekommen, woran es eigentlich lag, dass bei ihm in Sachen Frauen immer alles den Bach runterging. Niebuhr war mit Mitte dreißig im besten Alter, sah nicht schlecht aus, und sein Lächeln konnte einen unter Umständen aus dem Konzept bringen.

»Ich hab mich damit abgefunden, allein zu sein«, sagte Niebuhr.

Sina schielte ungläubig zu ihm hin, doch er blieb ernst.

»Zuerst muss man mit sich selbst klarkommen, dann kommt man auch mit den anderen klar.«

Noch so ein Klops.

»Respekt, Kollege Niebuhr. Ausgesprochen weise. Klingt nach Gruppentherapie«, stichelte sie.

»Warum eigentlich nicht? Wenn's hilft.«

Er schien sich wirklich völlig verändert zu haben, seitdem sie nach Goslar versetzt worden war. Ausgerechnet er, der von dem ganzen »Psycho-Quatsch« wie Persönlichkeitstests, Paartnerberatung und so weiter nichts hielt, ausgerechnet Jens hatte eine Gruppentherapie gemacht?

»Das glaubst du doch selbst nicht!«

Immer noch verzog er keine Miene. »Nach sorgfältigem Nachdenken habe ich mich für die kleinen Happen in puncto Beziehung entschieden. Das ganze Menü überlasse ich gerne anderen«, kam es in wohlgesetzten Worten.

Was sollte denn das heißen? Vielleicht eine Anspielung auf ihre geschiedene Ehe?

»Du meinst, du wärst fein raus im Gegensatz zu Typen wie mir, die sich auf das Menü eingelassen haben und zur Strafe anschließend die Küche aufräumen müssen?« Sina t ärgerte sich, dass sie Niebuhr den Ball auch noch zugespielt hatte.

»Wenn du es so siehst ...«

Der Punkt ging an den jüngeren Kollegen.

Sina überlegte noch, wie sie ihm passend herausgeben konnte, da fuhr Niebuhr schon in einen Seitenweg ab, die Auffahrt zum »Oberharzer Hof«.

...

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